Wie viel Mitbestimmung im BEM hat der Betriebsrat?

– Eine „heiße“ Frage, die auch die Rechtsprechung immer wieder beschäftigt und nun durch das Bundesarbeitsgericht entschieden wurde. Danach wurde durch den Beschluss des Bundesarbeitsgericht vom 22.03.2016, Az.: – 1 ABR 14/14 der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 20.02.2014, Az.: 1 TaBV 4/13 bestätigt. Diesen möchte ich Ihnen heute vorstellen – natürlich mit konkreten Praxistipps.


1. Der Arbeitsgeber muss nicht alle Mitarbeiter über das BEM-Verfahren informieren

„Mit dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kann nicht die Verpflichtung der Arbeitgeberin erzwungen werden, alle gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, über das BEM Verfahren zu unterrichten.“


 

Meine Praxistipps:

Eine Unterrichtungspflicht muss nicht in einer Betriebsvereinbarung festgehalten werden. Unabhängig davon ist es sehr sinnvoll, die Mitarbeiter zu informieren – über Flyer und Broschüren, das Intranet, in der Mitarbeiterzeitung oder Betriebsversammlung. Informationen sorgen für Transparenz über Ziele und Ablauf des BEM-Verfahrens sowie den Datenschutz. Und Transparenz ist die Voraussetzung für Vertrauen – die Grundlage des BEM.

Ein weiterer Vorteil: Alle Beteiligten – Führungskräfte, Mitarbeiter, Betriebsräte, Schwerbehindertenvertreter – haben den gleichen Informationsstand und damit die nötige Sicherheit für den Umgang mit dem sensiblen Themen „Gesundheit und Krankheit“.

2. Es ist nicht nötig und nicht erzwingbar, die Aufgaben im BEM auf ein festes, auf Dauer gebildetes Gremium aus Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern (Integrationsteam) zu übertragen.

„§ 167 II 1 SGB IX sieht nicht vor, dass die Arbeitgeberin und die zuständige Interessensvertretung (und ggf. die Schwerbehindertenvertretung) gemeinsam klären, wie die Arbeitsunfähigkeit eines oder einer Beschäftigten überwunden und weitere Arbeitsunfähigkeit vermieden werden können (…). Es handelt sich mithin nicht um eine gemeinsame Aufgabe von Arbeitgeberin und Interessensvertretung, für die diese gemeinsam zuständig wären, sondern um eine originäre Aufgabe der Arbeitgeberin, bei deren Erledigung die Interessenvertretung zu beteiligen ist.

Andernfalls wäre dies nicht nur eine Verschiebung von Aufgaben, sondern auch von Verantwortlichkeit, die dem gesetzlichen Regelungszweck nicht entspricht (§ 167 II S.1 SGB IX „Der Arbeitgeber klärt …“). Dieser weist der Arbeitgeberin Aufgabe und Verantwortlichkeit zu, weil sie sowohl die Organisation und Ausstattung des Betriebs bestimmt und zugleich Arbeitsvertragspartnerin des oder der betroffenen Beschäftigten ist. in diesem Rahmen weist § 167 II 1 SGB IX dem Betriebsrat eine Mitwirkungsrolle zu, ohne ihn dadurch hinsichtlich Aufgabe und Verantwortlichkeit mit der Arbeitgeberin gleichzustellen.“

Meine Praxistipps:

a) Eine Ansprechperson am Anfang ist besser als ein Gremium

Ein festes, mehrköpfiges Gremium ist Offenheit und Vertrauen nicht immer zuträglich. Wer erzählt schon gerne einer ganzen Gruppe von Leuten aus seinem Betrieb von psychischen oder familiären Problemen und Schwierigkeiten mit Vorgesetzten bzw. Kollegen? Außerdem: Je größer die Gruppe, desto größer auch die Gefahr, dass ÜBER und nicht MIT dem betroffenen Mitarbeiter geredet wird.

Sinnvoller ist daher, eine Person im Unternehmen als BEM-Verantwortliche/r zu benennen und entsprechend auszubilden. Sie/Er führt das Erst- und ggf. auch die Folgegespräche mit den BEM-Berechtigten – vertraulich und unter 4 Augen.

Selbstverständlich steht es jedem/r BEM-Berechtigte/n jederzeit frei, zu allen Gesprächen auch den Betriebsrat/Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung, die Führungskraft und eine Person seines Vertrauens eigener Wahl einzuladen. Dies sollte aber zwingend der BEM-Berechtigten Person überlassen werden. Die Aufgabe der Fallgespräche kann auch eine externe Person (z.B. Fallmanager CDMP ® oder Betriebsarzt) übernehmen.

Spätestens bei der Umsetzung von Maßnahmen sind mit Zustimmung der BEM Berechtigten die zuständigen internen und externen Experten zu beteiligen. Dies sind z.B. die Führungskraft (wenn es um die Änderung der Arbeitszeit- oder Arbeitsaufgabe geht), die Fachkraft für Arbeitssicherheit, der Betriebsarzt oder die Rehabilitationsträger, Integrations-/Inklusionsämter sowie Integrationsfachdienste oder die ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungen.

b) Feedbackbögen und Review-Termine

Im Zuge der Qualitätssicherung ist es sinnvoll, interne BEM-Ansprechpersonen sowie externe Fallmanager regelmäßig zu überprüfen. Hierzu bietet sich ein anonymer Feedbackbogen an, den der Mitarbeiter nach Abschluss des BEM erhält. Ein BEM-Briefkasten, der viertel- oder halbjährlich geleert wird (je nach Unternehmensgröße) gewährleistet hierbei dir nötige Anonymität.

Sind externe Dienstleister in das BEM-Verfahren involviert, sollten Betriebsrat und Arbeitgebervertreter die Anforderungen an diese klar umreißen und regelmäßig (zumindest einmal im Jahr) in einem gemeinsamen Review überprüfen. Bei Leistungsmängeln oder Schwächen ist das Verfahren entsprechend zu ändern.

3. Der Betriebsrat hat kein Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung beschlossener Maßnahmen, Überprüfung ihrer Wirksamkeit und Qualität, bei der Begleitung der Beschäftigten bei der stufenweisen Wiedereingliederung oder bei arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen

„§ 87 I Nrn. 1, 6 und 7 BetrVG umfasst das Recht zur Regelung von Sachverhalten und sieht nicht vor, dass der Betriebsrat selbst an der Durchführung der Maßnahmen beteiligt ist. Die Durchführung von Maßnahmen ist vielmehr nach § 77 I 1 BetrVG Sache der Arbeitgeberin, wenn nichts anderes vereinbart ist.(…)

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, mit dem er verlangen könnte, die Wirksamkeit und Qualität von BEM-Maßnahmen in einem gemeinsamen Gremium mit der Arbeitgeberin zu überprüfen, besteht nicht. § 167 II SGB IX regelt nicht einmal, ob und wie die Entscheidung über mögliche BEM-Maßnahmen zu treffen ist. Erst recht ergibt sich damit aus ihm nicht, wie Qualität und Wirksamkeit zu überprüfen sind.

Ferner ist kein Mitbestimmungsrecht ersichtlich, mit dem der Betriebsrat erzwingen könnte, an der stufenweisen Wiedereingliederung von Beschäftigten in einem gemeinsamen Gremium mit der Arbeitgeberin in Form einer Begleitung beteiligt zu werden.

Es ist kein gesetzliches Mitbestimmungsrecht ersichtlich, dass für alle arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen die Zustimmung des Betriebsrats vorsieht. Das gilt insbesondere für solche arbeitsplatzbezogenenen Maßnahmen, die eine Änderung des Arbeitsvertrages erforderlich machen. Wenn Beschäftigte arbeitsvertraglich nur zur Arbeit in bestimmten Schichten berechtigt und verpflichtet sind, die ihrer Gesundheit abträglich sind, kann nicht über das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eine Änderung des Arbeitsvertrages erzwungen oder verhindert werden.

Ein BEM geht auch ohne Betriebsrat: Im Gesetzgebungsverfahren ist ausdrücklich die Auffassung vertreten worden, dass die Interessensvertretung nur mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person einzuschalten ist. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist deshalb auch durchzuführen, wenn der oder die Beschäftigte eine Beteiligung der Interessensvertretung nicht wünscht.“

Meine Praxistipps:

Im BEM gilt es, die Eigenverantwortung der betroffenen Beschäftigten zu stärken, sie zu unterstützen und ihnen die Wahl zu lassen, mit wem sie außer der BEM-Ansprechperson sprechen, welche Experten sie einschalten und welche konkreten Maßnahmen sie umsetzen möchten. Schließlich weiß die betroffene Person am besten, was ihr gut tut, welche Maßnahmen geeignet wären und wen sie dafür mit „im Boot“ haben möchte. So können – mit ihrer Zustimmung – weitere Experten (z.B. behandelnde Arzt, Betriebsarzt, Führungskraft, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Betriebsrat, Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen) nach möglichen Maßnahmen befragt werden. Diese lassen sich dann gemeinsam mit dem Mitarbeiter planen und umsetzen, um die Ziele des BEM zu erreichen, nämlich die bestehende Arbeitsunfähigkeit überwinden, erneute Arbeitsunfähigkeit verhindern und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten.

Fazit: Der Betriebsrat und die Vertrauensperson schwerbehinderter Menschen kann jederzeit hinzugezogen werden – aber nur, wenn der betroffene Mitarbeiter dies möchte.

Meine langjährige Erfahrung als Disability Managerin zeigt: Der Betriebsrat gibt vielen Mitarbeitern die nötige Sicherheit, um offen über ihre Probleme zu sprechen. Er kennt zudem die geltenden Betriebsvereinbarungen – auch solche, die über das BEM hinausgehen – und kann dem Mitarbeiter gemeinsam getroffene Entscheidungen vermitteln.
Wichtig ist hierbei zu beachten, nicht die Verantwortung für den Mitarbeiter zu übernehmen oder sich gar schützend vor den Mitarbeiter stellen und ihm Entscheidungen abzunehmen.
Nehmen wir ein einfaches Bild: Eine Person versucht nach einer schweren Erkrankung wieder gehen zu lernen. Wenn sie dauernd den Rollstuhl untergeschoben bekommt, bringt sie dies sicherlich schneller von A nach B. Bequemer ist es obendrein. Allein das selbständige Gehen lernt die Person dadurch nicht.

Daher gilt es im BEM, die Eigenverantwortung des Mitarbeiters zu stärken. Um im Bild von vorhin zu bleiben: Erfolgreiches BEM feuert an beim Gehenlernen, unterstützt, wenn der Mitarbeiter stolpert oder ins Straucheln gerät, den Rollstuhl stellt es nicht bereit. Letztlich hat der Mitarbeiter die Kontrolle darüber, wie weit er bei der Wiederherstellung seiner Gesundheit und dem Erhalt des Arbeitsplatzes unterstützt werden möchte.

Krankheit und Schmerzen bringen oftmals destruktive Gedankenschleifen mit sich: „Ich kann eh nichts machen“,„Ich bin so schnell erschöpft und habe keinen Einfluss darauf“, „Ich fang plötzlich an zu weinen und weiß nicht warum“, „Ich rutsche automatisch in meinen alten Trott und dann beginnen wieder die Schmerzen“… Aus ihnen spricht Hilflosigkeit, die die Arbeitsunfähigkeit noch verstärkt.

Durch das BEM kann der Mitarbeiter die Zügel wieder selbst in die Hand nehmen – in einem geschützten Rahmen und mit Unterstützung von Experten. Allein dies – so zeigt meine Erfahrung – stärkt in vielen Fällen die Psyche so, dass der Mitarbeiter motiviert ist, weiter an seiner Gesundheit zu arbeiten … um wieder arbeiten zu können.

Damit ist auch das Ziel des BEM erreicht: Arbeitsunfähigkeit überwinden, erneute Arbeitsunfähigkeit verhindern und so den Arbeitsplatz erhalten.