„Im BEM klärt der Arbeitgeber … mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person“ Jedoch: Wieviele Arbeitgeber ist „der Arbeitgeber“?

Der „Arbeitgeber“ ist neben der der/dem betroffenen Beschäftigten einer der Hauptakteure im betrieblichen Eingliederungsmanagement. Doch wer genau und wieviele Personen sind der „Arbeitgeber“ in diesem Falle? Die Antwort auf diese Frage lesen Sie im folgenden Artikel.


Nach § 167 Abs. 2 SGB IX ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) zu initiieren, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres – bezogen auf die vergangenen 12 Monate – länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren. Das Gesetz weist dem Arbeitgeber Aufgabe und Verantwortlichkeit für das BEM zu, weil er Organisation und Ausstattung des Betriebs bestimmt und zugleich Arbeitsvertragspartner des/der betroffenen Beschäftigten ist.[1]

Wie jedoch der sich anschließende Klärungsprozess aussieht, ist nicht formal vorgeschrieben. Die Beteiligten haben den größtmöglichen Spielraum zur Gestaltung des Verfahrens. Der Hintergrund ist klar: Durch die Offenheit soll keine Option von vorne herein ausgeschlossen werden. So gibt das Gesetz keine bestimmten Mittel vor, die auf jeden – oder auf gar keinen – Fall in Erwägung zu ziehen sind. Ebenso wenig beschreibt es bestimmte Ergebnisse, die das Eingliederungsmanagement haben muss oder nicht haben darf.[2]

Wer und wie viele Personen sind denn „der Arbeitgeber?“

Umstritten ist wie viele Personen „der Arbeitgeber“ sind. In vielen Unternehmen wird die Rolle „des Arbeitgebers“ auf den Personalreferenten übertragen, in anderen Unternehmen darf sich der Mitarbeiter einen „Fallmanager“ aus einem Pool an angebotenen „Fallmanagern“ herauspicken. In wiederum anderen Unternehmen ist klar die Führungskraft in der Rolle von „der Arbeitgeber klärt“ im Sinne des Gesetzes.
Es gibt aber auch Unternehmen, die mit Führungskraft und Personalreferent als „der Arbeitgeber“ den BEM Prozess von Anfang an gestalten.

[1] LAG Hamburg, Beschluss vom 20.02.2014 – 1 TaBV 4/13, bestätigt durch den Beschluss des BAG vom 22.03.2016 – 1 ABR 14/14
[2] BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 198/09

Da das BEM ein verlaufsoffener Suchprozess ist, könnte das Unternehmen grundsätzlich selber den BEM Prozess und damit die Auswahl und Zahl der Gesprächspersonen auf Arbeitgeberseite gestalten. Interessant wird die Frage jedoch dann, wenn der Mitarbeiter das BEM ablehnt, weil 2 Personen aus dem Arbeitgeber“lager“ ihm gegenübersitzen.

Wie sieht es in diesem Falle aus: Wurde das BEM ordnungsgemäß angeboten oder das Zustimmungserfordernis nach § 167 II SGB IX unterwandert?

Die Anzahl der Arbeitgebervertreter wird oft damit gerechtfertigt, dass der Arbeitnehmer den Betriebsrat ins Verfahren einbinden könnte. Somit sei nur dann ein gleichwertiges Kräfteverhältnis herzustellen, wenn auch der Arbeitgeber die Möglichkeit habe, das BEM mit zwei Personen zu gestalten.

Das Landesarbeitsgericht Hessen nahm in seinem Beschluss vom 13.08.18 – 16 Sa 1466/17 hierauf mittelbar Bezug:
„Zwar ist die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements auf verschiedene Weise möglich. Mindeststandard ist es jedoch, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des betrieblichen Eingliederungsmanagements orientierte Klärung ernstlich zu versuchen.“

Werden diese Mindeststandards daher durch die Hinzuziehung der bereits in § 167 II SGB IX genannten Stellen erfüllt, ist meines Erachtens eine Hinzuziehung von weiteren Arbeitgebervertretern nicht notwendig und könnte der Arbeitnehmer ablehnen.

Wenn der Arbeitgeber weiter argumentiert: „das sind ja nur Mindeststandards – Ich kann ja durchaus mehr hinzuziehen! Ich kann ja immer mehr machen, ich darf nur nicht weniger machen“, greift dieser Grundsatz aber nur, solange Persönlichkeitsrechte des Einzelnen nicht darunter „leiden“ müssen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten und Gesundheitsdaten zu bestimmen. (vgl. auch BVerfG, 1 BvR 209/83 vom 15.12.1983)

Von diesem Recht in Bezug auf einen weiteren Arbeitgebervertreter könnte der BEM-Berechtigte daher Gebrauch machen und zwar ohne rechtliche Konsequenzen, soweit er dadurch die Mindeststandards im BEM nicht verändert und ein Arbeitgebervertreter bereits an Bord ist.

Dies gilt insbesondere für die Erstgespräche des BEM-Verfahrens. Die Betroffenen sind meist unsicher, was auf sie zukommt und was und wieviel sie sagen sollen. Es geht hier um die Analyse von Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes und Leistungsprofil des Mitarbeiters sowie die gemeinsame Entwicklung erster Ideen. Die Erfahrung zeigt, dass sich vertrauliche Settings mit wenigen Akteuren hier am besten eignen, um dem Mitarbeiter die nötige Sicherheit zu geben, sich öffnen zu können.

Geht es dann in die konkrete Planung, insbesondere von organisatorischen und technischen Maßnahmen, kann die/der Vorgesetzte unterstützen. Die Praxisempfehlung ist sogar: Sie/er sollte! Denn insbesondere bei der Umsetzung von Maßnahmen, die Arbeitszeit, -aufgabe und -ort betreffen, können die Führungskräfte als Experten Möglichkeit, Zumutbarkeit und Umsetzbarkeit am besten prüfen. Gehen die Maßnahmen allerdings eher in den persönlichen Bereich, wie in die Schuldnerberatung, psychologischer Beratungsdienst, Unterstützung bei der Ernährung und beim Sport, muss die Führungskraft nicht zwingend von Anfang an im Prozess dabei sein.

Diese Ansicht zeigt sich auch im Diskussionsbeitrag des iqpr vom Mai 2008 von Dr. Gagel, Dr. Schian, Prof. Kothe, Prof. Preis und Prof. Welt[3] :
„In einem ordnungsgemäßen BEM steht nicht nur die Teilnahme an sich, sondern über die wenigen gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus, alle grundlegenden Aspekte des Klärungsprozesses, unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Betroffenen. (…) Unseres Erachtens muss das BEM-Angebot klar und deutlich machen, dass die Teilnahme freiwillig ist und dass der Teilnehmerkreis mit Ausnahme des Betroffenen selbst und eines Arbeitgebervertreters nur mit Zustimmung des Betroffenen festgelegt wird.“
[3] Forum B Schwerbehindertenrecht und Gesundheitsmanagement Diskussionsbeitrag Nr. 9/2008 „die kündigungsrechtliche Bedeutung des BEM“ von Marcus Schian

Fazit: Sind die Mindeststandards erfüllt, lässt das Gesetz viel Offenheit für die Gestaltung des BEM-Verfahrens. Dies gilt auch für die „Arbeitgeber“-Rolle. Sie kann Personalreferent, Führungskraft und/oder Fallmanager ausfüllen.
Die Erfahrung zeigt, dass sich 1:1-Settings, bzw. Settings mit so wenig Akteuren, wie möglich, für die Erstgespräche am besten eignen. Daher sollte den BEM-Berechtigten diese Möglichkeit immer offenstehen und der Arbeitgeber tatsächlich nur mit einer Person vertreten sein.
Wenn es dann in den Folgegesprächen um die Planung konkreter Maßnahmen geht, ist die Einbeziehung des/der Vorgesetzten vor allem bei technischen und organisatorischen Maßnahmen zwingend notwendig. Ob weitere Akteure (z.B. Betriebsarzt, Deutsche Rentenversicherung, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Inklusionsamt, etc) zusätzlich hinzuzuziehen sind, entscheidet sich ebenfalls im Analysegespräch.